Still Water
Ich bin wieder bei den Meeren meiner Kindheit angelangt, die natürliche
Grenze meiner Heimat im Morgen land.
Im Westen das Mittelmeer, sein Horizont, der sich in die unendliche Weite
auflöst - verlockend, bedroh lich, unüberwindbar- so empfand ich
es damals als ich ein Kind war. Aus der Küstenstadt Eilat am Roten
Meer, mal scharf gezeichnet und satt gefärbt, mal flirrend und golden,
unbekannte Zonen, die zu verschwinden scheinen. Gegenüber die Ufer
des Toten Meeres, die verbotenen Städte, die auch heute noch wie sanfte
pastellene Schimären aufflackern. In diesen trockenen Kraterlandschaften
sind Pools – Fragmente des Himmels in einem heißen und staubigen
Kies, blaue Juwelen in Sand und Beton eingerahmt ...
Das Angesicht Europas war mir aus einer Sammlung von billig gedruckten Kunstreproduktionen
bekannt, die in den Tiefen des düsteren Wohnzimmerschranks in Vergessenheit
geraten war bis ich sie eines Tages entdeckte. In den Gemälden der
Alte Meister schienen die Meere aus dunkler und dichter Substanz zu bestehen.
Frauen, verhalten und fremd, einen greisenhaften Säugling im Arm, schwebende
Lichtkränze über Ihren Köpfen - eine Quelle trüben Lichts,
saßen in schattigen, von Säulen getragenen Hallen, in sich gekehrt
wie die Schlafwandler. Melancholie vor einer Landschaftskulisse in erdigen
Tönen und gedämpftem Licht. Ocker, Terra de Siena, Umbra, Zinnober....
Aber All diese Namen kannte ich damals noch nicht.
Aus den Fotoalben meiner Eltern habe ich ein Abendland kennengelernt das
sepia war und braun. Ansichten und deren Bewohner aus einer Welt, die an
einem Morgen in eine ewige Nacht versank.
Und wenn ein Schwarm schwarze Fliegen immer dichter wurde und die Dämmerung
zum Abend überging, verfinsterte sich die Luft und mein Atem stockte.
Ein paar Jahre später zwischen Kindheit und Jugend hatte ich einen
Traum von besonderer Signifikanz. Im Traum schaue ich mit Ehrfurcht erfüllt
auf einen gewaltigen Cinema-Vorhang. Er ist aus verführerisch glitzerndem
Stoff gemacht - der Stoff aus dem die Träume sind. Er stellt eine Verheißung
dar. Ich soll eine unumkehrbare Entscheidung treffen – öffne
ich den Vorhang dann muss ich hinein.... Ich ziehe an einer Kordel, um den
Vorhang beiseite zu ziehen- dahinter ist ein stilles Meer....
Ich bin schon längst in Übersee und aus der Ferne entdecke ich
die Meere meiner Heimat wieder. Die Meere, die in mir sind. Ich sehe den
Himmel im Wasser und die verschwommene Grenze zwischen Wasser und Land.
Die Menschen, die am Wasser verweilen, rühren mich. Ihr Fremdsein -
mein Zuhause. Ich sehe sie am Rand des Meeres - sie wirken gelassen und
ein bisschen angespannt. Hierzulande wissen die Menschen von Kräften
der Unterwasserströmungen und von der Unberechenbarkeit des stillen
Meers.
Die Wahrnehmungen treiben in meinen Gedanken umher, verwandeln meine
Gefühle, bewohnen meine Träume. All die Abbilder sind bereits
ein Teil von mir, die Wesensart meiner selbst. Ich gebe mich der Illusion
hin, abgemessene Ausschnitte aus einem unaufhörlichen Vorgang heraus
sondieren zu können, um sie dann zu meinen eigenen zu machen. Ich greife
nach gleitenden, glitschigen Geistern, die zwischen Jetzt und Gleich hausen.
Vergebens versuche Ich die einge reihten Dominosteine für einen Augenblick
aufzuhalten, bevor sie in einer unaufhörlichen Abfolge von Ereignissen
weiter umfallen. Hin und weg, im Transit zwischen äußerer Finsternis
und hell erleuchtetem Innenraum(und anders herum) bin ich in eine eigene
Legende verstrickt. Ich trete über die Schwelle, überquere den
Raum, ich nehme Abstand, ich bin die Schwelle. Umgarnt von banalen Momenten,
die nicht banal sind, und vonpersönlichen Melodramen, die aus der Metaperspektive
des Universums kein Gewicht haben, hebe ich hervor,füge was hinzu,
entferne ein Detail, bis die neu geschaffenen Variationen zum gleichen Thema
für ein en Augenblick zu meinen Stellvertretern werden. Es sind Traum-Fragmente
im Raum für Träume, abgefangen, wie eingefangen und gezähmte
Wasser in Pools, unvollendete Geschichten, die Sehnsucht nur erahnen lassen.
Ich möchte Spuren im feuchten Sand hinterlassen. Es ist meine Art,
Teil der Landschaft des Verschwindens zu sein, aller Flüchtigkeit zum
Trotz.